Die genetische Untersuchung von Embryonen vor dem Einsetzen in die Gebärmutter (im weiteren Transfer genannt) ist eine der spannendsten Entwicklungen der aktuellen Reproduktionsmedizin. Mit modernen Verfahren wie Next Generation Sequencing (NGS) lassen sich genetische Auffälligkeiten frühzeitig erkennen – noch bevor ein Embryo in die Gebärmutter übertragen wird. Doch während diese Technik international bereits im reproduktionsmedizinischen Alltag genutzt wird, ist ihr Einsatz in Deutschland stark eingeschränkt. Was bedeutet das für Patientinnen und Patienten? Und was lässt sich aus der aktuellen Forschung lernen?
Was ist Next Generation Sequencing?
NGS ist ein Verfahren zur schnellen und umfassenden Analyse von DNA. Es erlaubt die gleichzeitige Untersuchung tausender Genabschnitte und kann sowohl grobe Chromosomenstörungen (wie Trisomien) als auch punktuelle Genveränderungen erkennen. In der Reproduktionsmedizin wird NGS zur sogenannten Präimplantationsdiagnostik eingesetzt – also zur genetischen Untersuchung von Embryonen, bevor sie in die Gebärmutter übertragen werden und sich dort einnisten (=implantieren). Anhand stetig und rasant wachsender Datenbanken, gegen die die Analysen abgeglichen werden, können auch seltene genetische Erkrankungen identifiziert und ihre Bedeutung für den potentiell entstehenden Menschen abgeschätzt werden.
Was kann NGS leisten?
Internationale Studien zeigen, dass NGS die Auswahl genetisch gesunder Embryonen verbessert. In Ländern wie den USA, Großbritannien, Spanien und Belgien wird NGS bereits routinemäßig eingesetzt, um sogenannte „euploide“ Embryonen zu identifizieren – also solche mit korrektem Chromosomensatz. Die Ergebnisse sind vielversprechend: höhere Schwangerschaftsraten, weniger Fehlgeburten und gezielte Vermeidung genetischer Erkrankungen bei Paaren mit bekanntem Risiko.
Ein Beispiel liefert die Hochschulmedizin Dresden, wo Forschende mithilfe sogenannter Long-read-Sequenzierung eine seltene genetische Veränderung bei einem Embryo identifizieren konnten – eine Veränderung, die mit klassischen Methoden nicht auffindbar war. Die Studie wurde im Mai 2025 im Fachjournal npj Genomic Medicine veröffentlicht.
Quelle: https://www.deutschesgesundheitsportal.de/2025/05/05/hilfe-fuer-familie-mit-seltener-erkrankung-dresdner-forschende-nutzen-neue-methode-fuer-humangenetische-diagnose/
Was ist in Deutschland erlaubt?
In Deutschland ist die genetische Untersuchung von Embryonen gesetzlich stark eingeschränkt. Das Embryonenschutzgesetz erlaubt eine Präimplantationsdiagnostik nur in Ausnahmefällen – etwa wenn ein Paar ein hohes Risiko für eine schwerwiegende Erbkrankheit trägt, deren Gensequenz bekannt ist. Jede Untersuchung muss einzeln durch eine Ethikkommission genehmigt werden. Eine generelle genetische Selektion zur Erhöhung der Schwangerschaftschancen ist verboten, ebenso eine Selektion nach gewünschten genetischen Merkmalen wie Aussehen oder Geschlecht.
Quelle: Bundesärztekammer, Stellungnahme zur PID (2023)
https://www.bundesaerztekammer.de/presse/pressemitteilungen/detail/pid-gesetzgebung
Was bedeutet das für Patientinnen und Patienten?
Für Paare mit genetischem Risiko kann NGS eine wertvolle Option sein – aber nur unter strengen Voraussetzungen. Wer sich eine genetische Untersuchung zum Ausschluss von Erbkrankheiten ohne Familiäre Belastung oder zur Vermeidung von Fehlgeburten wünscht, muss mit Einschränkungen rechnen. Eine Auswahl nach Eigenschaften ohne Krankheitswert ist ebenfalls in Deutschland nicht möglich. Viele reisen deshalb ins Ausland, um dort eine umfassendere Diagnostik zu erhalten. Das wirft ethische und soziale Fragen auf: Ist es gerecht, dass der Zugang zur Technik vom Wohnort abhängt? Eine Frage, die sich auf viele reproduktionsmedizinische aber auch andere Fragestellungen ausdehnen lässt.
Was lässt sich daraus lernen?
Die Forschung zeigt, dass NGS ein mächtiges Werkzeug ist – aber auch eines, das verantwortungsvoll eingesetzt werden muss. Für Leserinnen und Leser bedeutet das: Technik allein ist nicht alles. Es braucht klare Regeln, gute Beratung und eine offene Diskussion darüber, was genetische Auswahl leisten darf – und was nicht.
Zugleich zeigt die internationale Praxis, dass NGS bereits heute Leben verändert. Familien mit seltenen genetischen Erkrankungen erhalten gezielte Hilfe. Kinderwunschbehandlungen werden sicherer. Und die genetische Diagnostik wird präziser. Die Herausforderung besteht darin, diese Fortschritte mit ethischer Verantwortung zu verbinden und diese Frage mit dem Fortschreiten der Methodik immer wieder zu stellen und neu zu bewerten- auch auf dem Hintergrund weltweiter Mobilität der Patient*innen.
Fazit
Next Generation Sequencing verändert die genetische Diagnostik in der Reproduktionsmedizin grundlegend. In Deutschland ist der Einsatz stark reguliert – und das aus gutem Grund. Doch die Technik entwickelt sich weiter, und mit ihr die Fragen, die wir als Gesellschaft beantworten müssen. Für Patientinnen und Patienten heißt das: Informiert bleiben, Optionen prüfen und gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten den besten Weg finden.
Quellen:
Deutsches Gesundheitsportal – Dresden Studie: https://www.deutschesgesundheitsportal.de/2025/05/05/hilfe-fuer-familie-mit-seltener-erkrankung-dresdner-forschende-nutzen-neue-methode-fuer-humangenetische-diagnose/
Bundesärztekammer – Stellungnahme zur PID: https://www.bundesaerztekammer.de/presse/pressemitteilungen/detail/pid-gesetzgebung
Alcimed – Next Generation Sequencing international: https://www.alcimed.com/de/insights/next-generation-sequencing/
BfArM – Modellvorhaben Genomsequenzierung: https://www.bfarm.de/DE/Das-BfArM/Aufgaben/Modellvorhaben-Genomsequenzierung/_node.html




